Die Studie widerlegt den fatalen Irrglauben der Fremdheit der Völker und Schriften.
Zugleich offenbart sich eine apokalyptische Spirale hin zu ihrer Wiedervereinigung.
Dadurch eröffnet sich ein neues, ebenso vielversprechendes wie umwälzendes Forschungsfeld.
Der erste Teil erhellt,
dass die Menschen im Mittelalter an ihre Verwandtschaft und türkische Herkunft der Runen glaubten.
Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahr 1453
barbarisierte die kirchliche Kriegspropaganda sie jedoch
mit dem Rückgriff auf antike Quellen
und führte das Konzept von Europa als »Festung«
sowie den Germanenmythos
als Kampfbegriff ein.
Die Verherrlichung der Germanen
weckte wiederum das Interesse an Runen in Skandinavien.
Entgegen dem klassischen Gotizismus
polarisierte bald der Rudbeckianismus die Forschung,
indem er Runen zum Vorbild aller Alphabete erhob
und ihre Erfindung in Schweden behauptete.
Dagegen erinnerte die Entdeckung von Runen in Sibirien im 18. Jahrhundert
die Gelehrten wieder an die mittelalterlichen Einwanderungssagen.
Die Mehrheit der Forschenden,
v. a. W. C. Grimm,
bezogen die sibirischen Inschriften in die Runenforschung mit ein.
Jedoch umging L. Wimmer die dahingehenden Diskurse,
indem er entsprechende Funde verleugnete.
Der zweite Teil beleuchtet,
dass V. Thomsen die sibirischen »Runen« als Alttürkisch entzifferte,
aber ihre zufällige Ähnlichkeit mit Runen vermutete.
Seine Vermutung wurde dann ohne Überprüfung zur Tatsache erklärt
und die Schriften voneinander ferngehalten.
Dennoch beflügelte die Enthüllung der türkischen Geschichte
den Selbstfindungsprozess in der Türkei.
Daran nahmen sich die Nationalsozialisten in Deutschland ein Vorbild,
doch missachteten die alttürkische Schrift
und pervertierten die Runen zum Symbol ihrer Germanenideologie.
Danach erreichte die Runologie
erst um die Jahrtausendwende ein neues Stadium.
Nunmehr tritt die Frage nach dem historischen Zusammenhang
zwischen der alttürkischen Schrift und Runen
erneut und unausweichlich vor uns.
Çağıl Çayır